Perfektionismus ade, Du bist entlarvt!
24.10.18 Alles lief bisher wunderbar. Doch gestern bin ich mit dem Auto angefahren. Gott sei Dank war niemand involviert und es sind nur Kratzer. Ok, einer davon etwas tiefer… so eine Steinmauer rückt aber auch kein bisschen zur Seite, wenn man an ihr vorbei einparken will. Auf der rechten Seite der Straße als Rechtsfahrer. Oh my goodness…
Nachdem die Überraschung darüber, dass es passiert ist, nachgelassen hat, ging meine Laune in den Keller. Ich konnte innerlich zusehen, wie sie sich langsam, in Schrittgeschwindigkeit davon machte. Alles war im Flow gewesen und jetzt das.
Um mich erst mal zu sammeln und weil ich sowieso vor hatte, eine Kleinigkeit zu essen zum Tee, ging ich ein Café. Fast wäre mir schon der Appetit vergangen, aber ich hatte den ganzen Tag sehr wenig gegessen. Jetzt war es 16 Uhr und ich hatte einige Touren hinter mir. Ich brauchte einfach Energie. Energie auch dafür, zu überlegen, was ich jetzt unternehmen sollte.
Ich hatte eindeutig Widerstände, mir meine Laune zu verderben. Also überlegte ich mir, wie ich jetzt am besten Abhilfe schaffen könnte. Eine Tomatensuppe und einen langen Tee später hatte ich mich entschlossen, das Büro der Autovermietung in Limerick anzurufen. Doch leider blieb die erhoffte Absolution aus… Ich wollte nicht nur von dem Grummeln im Bauch erlöst werden, sondern auch sichergehen, dass ich wegen der Versicherung auch alles unternommen hatte. Nicht wissend, wie das hier in Irland läuft. In Deutschland braucht es ja sofort eine Schadensmeldung… Aber schaffte ich das jetzt auch, englisch zu kommunizieren? Nun, das würde ich ja dann sehen.
Gedacht, getan. Nach den ersten Reaktionen kam mir schon die Vermutung, dass es vielleicht besser gewesen wäre, das Auto zurückzubringen und mit den Wimpern zu klimpern. Double Check here and Double Check there. Dann noch „I will pass you over…“ zur Vermittlung von der Vermittlung zur Vermittlungsstelle der Autoversicherung. Halleluja. Letztlich hatte ich eine sehr freundliche und lustige Irin am Telefon, die sich alles notiert hat und meinte, so schlimm könnte es nicht sein. Auf meine Frage hin, ob ich mir jetzt noch Geschenke für meine Kinder leisten könnte, sagte sie, dass sie sich das schon vorstellen kann.
Na gut. War ich erleichtert, wie ich gehofft hatte? Leider nicht wirklich. Man konnte mir natürlich übers Telefon keine richtige Zusage machen. Das muss sich eine Werkstatt ansehen und den Schaden einschätzen. Um die Details der Versicherung hatte ich mich nicht wirklich gekümmert… wenn das Kleingedruckte nicht so unbequem wäre… und ohne Brille mal wieder…
Mit der halben Bestätigung war es nur geringfügig besser für mich. Dingle ist echt nett, aber durchspaziert ist es auch gleich… und so, wie ich mich fühlte, war hier plötzlich nichts mehr wirklich interessant. Mich am Abend nochmal dorthin aufzumachen, um Musik zu hören und eine Half Pint zu trinken, war auch gestorben. Von irischer Gelassenheit war ich für diese Stunde weit entfernt. Mein Plan, die Sache gleich aus der Welt zu schaffen, war nicht so ganz aufgegangen. Und nun?
Heute und von außen betrachtet wird sich wohl alles gut regeln. Es ist niemand gestorben und schlimmstenfalls ist es ein doch etwas teuerer Urlaub geworden, als gedacht.
Was mich allerdings innerlich weiter beschäftigt, war die Frage, warum es mir so viel ausgemacht hat, dass ich am liebsten die letzten Urlaubstage gestrichen hätte. All die schönen Erlebnisse sind urplötzlich ziemlich verblast. Fehler sind noch immer schwierig. Unglaublich kritisch kommt das daher. Die emotionale Autobahn ist noch da. Ich meine damit einen Automatismus, der sich einschaltet, sobald sich etwas wie ein Fehler oder ein Defizit anfühlt.
Die Schwierigkeiten damit waren früher sehr groß. In meiner Kindheit hatte ich begonnen, aus Fehlern ein inneres Drama zu veranstalten. Das ging mit Schuldgefühlen und dem Bedürfnis nach einem Gang nach Canossa einher. Bullshit? Ja! Und, es hatte wohl seine Berechtigung. Ist das heute noch so?
Und jetzt?
Jetzt plane ich meinen letzten Tag morgen auf der Dingle Peninsula und beginne mit einem Frühstück, das sich gewaschen hat. Ein langer Spaziergang am Hausstrand und dann kann mich das mit dem Kratzer jetzt mal kreuzweise. Die Überreste davon, keine Fehler machen zu wollen, die fliegen dann mit im Wind davon. Ja, jetzt ist die Zeit, das wirklich hinter mir zu lassen.
1 1/2 Tage später:
So ein Spaziergang hilft ungemein!
Durchgelüftet und frischen Mutes kann ich jetzt meinen Urlaub wieder genießen.
Ich war zwei Stunden an einem Strand unterwegs, an dem man alle möglichen Quarze finden kann und sehr viele andere Steine. Das kam mir sehr gelegen, zum Werfen. Kein Mensch oder Fisch weit und breit, weshalb ich ein paar geladenen Steine von mir loswerden konnte. Die Weite ist auch gut, um mal einen richtigen Schrei vom Stapel zu lassen. Der Wind tut das seine dazu, komische Gedanken abzunehmen. Wie geht das? Indem man sich ihm für ein paar Minuten ohne Mütze aussetzt, Kopf und Haare wild durchblasen lässt. Dann kann zumindest ich nicht mehr an was anderes denken, außer daran, endlich wieder eine Mütze aufzuziehen.
Mir ist unterwegs so klar geworden, dass sich hier der eigene Perfektionsanspruch zeigt, der extrem lähmend wirkt. Das ist wirklich eine ganz miese Gewohnheit. Typisch deutsch! Unser System fördert genau das und zwar in jeglicher Hinsicht. Alles muss ordentlich, richtig und faltenfrei sein. Das Auto kommt öfter in die Werkstatt, als der Mensch, der es fährt, für das eigene schnurrende Getriebe sorgt. Die schulischen Leistungen werden höher bewertet als das Menschsein. Alles muss besser, schneller und höher sein. Mittelmaß ist dabei schon unten durch… will man „mithalten“, kostet das eine Anstrengung, bei der ich mich frage, wie man da noch ein herzlicher Mensch sein will. Die Kids bekommen in allen Fächern Nachhilfe. Sie werden in die Musikschule gegangen und zum Ballett oder Fußball begeistert. Natürlich soll jeder seine Talente fördern können. Doch muss jeder in allem der Beste sein?
Vielleicht sollten, nein müssen wir das überdenken. Es kann in Zukunft ganz schön ungemütlich werden mit dem ganzen, permanenten Vergleichen. Wir füttern in meinen Augen das Konkurrenzdenken bis zur sozialen Unfähigkeit. Gott sei Dank sind unsere eigenen Kinder so widerständisch, dass sie unsere Angebote dankend abgelehnt haben. Jetzt, da sie erwachsen sind und beginnen, eigenes Geld zu verdienen, entwickeln sie ihre persönlichen Neigungen, versuchen sich in verschiedenen Dingen, die sie ansprechend finden. Sie sind definitiv nicht vorprogrammiert. Ich finde das gut,dass sie so ihre eigenen Wege finden. Und auch mit 44 ist es nicht zu spät, nach Irland zu reisen und sich selbst zu folgen 😉 Doch es braucht unbedingtes Umdenken.
Für mich ist das jetzt entschieden. Der hohe Anspruch an mich selbst, darf von mir auf nimmer wiedersehen abfallen. Ich bin nicht 44 Jahre alt geworden, um mich noch immer für meine Fehler oder Schwächen gemütsmäßig im Keller aufzuhalten. Was soll´s, dann ist halt ein bisschen der Lack ab! In diesem Fall vom Auto, aber dafür werde ich ja die Verantwortung übernehmen.
Ich will mich innerlich da aufhalten, wo ich freundlich und gelassen sein kann, dort, wo es reicht, dass ich einfach ich selbst bin.
Selbst die Erlaubnis dazu erteilt!
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