Fragen Sie sich derzeit auch, ob wir nicht unser bisheriges System überdenken sollten?
Anfang letzten Jahres habe ich, wie ich dachte, meinen ursprünglichen Beruf an den Nagel gehängt. Zwar arbeite ich seitdem weiter Teilzeit in der gleichen Branche, aber jetzt in der Verwaltung.
Im Zuge der Selbständigkeit wurde es mit dem Schichtdienst immer schwieriger, der steigenden Nachfrage im Stressmanagement nachzukommen. Den Dienstplan erhielt ich zwar schon am 20. des Vormonats, doch wer soll da im Voraus planen können. Es wurde eine blöde Situation für mich, da man ohnehin auf die fixen Tage meiner Kurse Rücksicht nahm, noch weitere Wunschtermine einzutragen. Für private Termine trug ich ohnehin schon lange keine Wünsche mehr ein, sonst wäre es wirklich unkollegial geworden. Deshalb entschied ich, mich zu verändern. Ich schaffte klare Verhältnisse.
Jetzt, da Corona den Kolleg*innen so viel abverlangt und ich Kurse und Coachings absagen musste, meldete ich mich freiwillig für den Pflege-Pool.
Grundsätzlich kümmere ich mich in meinem Leben und in meinem Inneren gründlich um Ausgeglichenheit, aber letzte Woche ging mir doch der Hut hoch und ich musste einfach frei von der Leber weg öffentlich sagen, was ich von der ganzen Sache halte:
Jetzt mal was in eigener Sache:
Am 23.03. war mein „letzter“ Arbeitstag im Büro. Ich arbeite in einem ambulanten Pflegedienst. Da die ambulanten Dienste – wie sooft, eine „untergeordnete“ Stellung zu haben scheinen, mussten wir auch hier anfangen im Zuge der Pandemie, unsere Überstunden abzubauen in Richtung Kurzarbeit.
Da ich im früheren Leben auf Intensiv gearbeitet habe und bis vor einem Jahr in der außerklinischen Intensivpflege am Patienten war, wurde ich freigestellt, um mich für die Krisenzeit „zurückzumelden“.
Ich konnte mir einfach nicht vorstellen, dass ich es mir daheim gemütlich mache, wenn Kolleg*innen nicht mehr wissen, wo hinten und vorne ist. Wenn man ´s doch kann…So… ich schrieb allen umliegenden Krankenhäusern (noch bevor der Pflegepool durch die VdPB geschaffen wurde), dass ich helfen würde. Ich bekam keine Antwort, nicht muh und nicht mäh. (???)
Daraufhin registrierte ich mich im Pflegepool. (Keine Anfrage seither. ???)
Wenige Tage nachdem ich den Kliniken geschrieben hatte, kam ein dringender Aufruf der Häuser in den Tageszeitungen. Sie bitten darum, sich zu melden, wenn man in entsprechenden Berufen gearbeitet hat… Mein Anruf bei angegebener Stelle ergab, dass mein Angebot noch nicht mal von der Pflegedienstleitung an die Personalstelle weitergeleitet wurde. (???)
Vor ein paar Tagen erst hat sich EIN Krankenhaus gemeldet, auf meine „Bewerbung“ hin. Hatte ich mich beworben? Sie könnten mir anbieten(!), auf 450 Euro auf der Intensiv zu arbeiten. (???) Hallo?! Das macht genau 3 Dienste im Monat. Als ob das Sinn machen würde! Kaum Einarbeitungszeit, kaum Dienste trotz freier Kapazitäten.
Nach einigem Hin und Her wäre dann eine befristete Halbtagsstelle für 3 Monate möglich. Das könnte man gleich ab nächster Woche laufen lassen.
Erneutes Telefonat heute: Die PDL erfährt von der Personalstelle, dass im BAT vorgeschrieben ist, dass Verträge für befristete Arbeitsverhältnisse 14 Tage vor Antritt beim Arbeitnehmer sein müssen. Daher kann man das Arbeitsverhältnis erst ab dem 1.5. starten lassen. Da das aber ein Feiertag ist, dann Wochenende, sprechen wir vom 4.5. Der willigen PDL sind die Hände gebunden!Wieder Anruf beim aktuellen Arbeitgeber. Meine Chefin kann es nicht fassen. Die Abmeldung zum besagten Tage läuft schon. Da darf sie sich schon wundern, oder?!
Jetzt vertun wir u.U. wertvolle Zeit wegen einer kleinen Klausel, die man eigentlich per gegenseitiger Vereinbarung aufheben könnte. Es macht doch Sinn die Leute jetzt VOR dem Sturm einzuarbeiten und damit dafür zu sorgen, dass man auch hinterher noch Personal hat.
Warum wohl arbeite ich nicht mehr in dem Beruf, obwohl ich ihn überzeugt ergriffen habe und grundsätzlich auch liebe?
Warum kämpfen wir sonst auch händeringend um jede Kraft?Wollt Ihr wirklich weiterhin auf die lähmende Bürokratie pochen in dieser Zeit?
Wollt Ihr ernsthaft weiter auf wirtschaftlichem Sparkurs Personalpolitik betreiben?
Wollt Ihr tatsächlich Eure erfahrenen Leute verheizen und dann nur noch mit uns fluxdiflux eingearbeiteten Wiedereinsteiger*innen oder Fachfremden diese Sache bestreiten?Ganz ehrlich?!
Facebook, 8.4.2020
Nun, inzwischen habe ich mich entschieden, diese Stelle nicht anzutreten. Da ich beim Pflege-Pool der Vereinigung der Pflegenden in Bayern gemeldet bin und diese zusammen mit dem Bayerischen Roten Kreuz die Einsätze bedarfsgerecht organisiert, denke ich, wird die Unterstützung auch dorthin gelenkt, wo sie akut gebraucht wird.
Das ist faire und sinnvolle Energieverteilung.
Inzwischen engagiere ich mich zusammen mit Andrea Kroll, einer Kollegin aus Weiden für die Kolleg*innen in der Pflege. Zu diesem Zweck nutzten wir bisher Facebook für eine erste Kampagne. Wir möchten diejenigen, die derzeit noch mehr als sonst in ihrem Beruf leisten, unterstützen, dass auch „nach“ Corona noch ausgiebig über die außergewöhnlichen Situationen gesprochen wird.
Damit wollen wir einen Beitrag leisten, dass die Rahmenbedingungen unbedingt überdacht werden. Beide haben wir, wie so viele andere, diesen Beruf aus Überzeugung erlernt. 1994 habe ich Examen gemacht. Zu dieser Zeit waren die meisten Krankenhäuser noch in kommunaler Hand. Dann änderten sich die Strukturen. Krankenhäuser wurden z.T. privatisiert. Man besetzte das Management fachfremd aus der Wirtschaft. Die Arbeitsverträge und –bedingungen wurden wirtschaftlicher. Die „alten“ Verträge wollte man so gut es ging loswerden. Das betraf mich seiner Zeit selbst, denn nach den Kindern wollte man mir keine familienfreundliche Stelle geben. Meine alte Stelle im Dreischichtsystem konnte ich mit drei kleinen Kindern natürlich nicht mehr antreten. Also musste ich mir was anderes suchen.
Dann kam die Fallpauschale und ab da wurde das Wirtschaften noch wichtiger.
Die Zeit für die Menschen, das gute Wort, das beruhigende Fußbad am Abend, das oft eine viel bessere Medizin wäre, wird immer knapper. Dazu erschlägt uns die Dokumentation. Denen es ist viel wichtiger sich für den Fall der Fälle, ja genauestens abzusichern…
Und jetzt müssen die Kolleg*innen zudem ausbaden, dass unsere Wirtschaft für höher, schneller, besser, Produkte ins Ausland gehen ließ, die jetzt fehlen. Siehe Schutzausrüstung.
Das ist keine faire und sinnvolle Energieverteilung!
Finden Sie nicht auch, dass es so nicht weitergehen kann?